Archiv 2015
Vor 70 Jahren – eine Anfrage an uns und unsere Zeit
Impuls: „Vor 70 Jahren – eine Anfrage an uns und unsere Zeit“ Dieses Thema haben wir dem heutigen Gottesdienst gegeben. Eine Madonna mit Kind soll uns an diese Zeit vor 70 Jahren erinnern. Hier steht die Statue jetzt in einem gewollten Kontrast zum Bild der hl. Barbara. Das Bild der hl. Barbara barock, emphatisch die Körper-sprache, und ihr Blick geht zum Kelch in ihrer Hand. Bei der Madonna ist es anders. Ihr Blick ist auf ihr Kind gerichtet und die Arme legen sich schützend um seinen Körper. Auch das Kind sucht den Blick der Mutter und hat seine Arme suchend und liebevoll um ihren Hals gelegt. Das ganze eher unaufgeregt. Bewusst wirft die Figur auf der Fotografie einen Schatten. Es ist die Frage, die über den Tag des Entstehens dieses Bildwerks hinausweist bis heute. (M)
Schriftlesung: Offenbarung 21, 1-3. 5:
– Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde.
– Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen.
– Da hörte ich eine laute Stimme: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen.
– Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.
Ansprache:
1. Frieden als Gottes Schöpfung. Erklärende Worte zum biblischen Text (Sch.)
Machtvolle Worte hallen aus diesem kurzen Text aus der Offenbarung des Johannes nach:
· Der neue Himmel und die neue Erde
· Das himmlische Jerusalem
· Die Wohnung Gottes unter den Menschen und
· Das Versprechen oder die Drohung: „Ich mache alle neu!“
Der Text macht klar, in was für einer Zeit sein Verfasser gelebt haben muss.
Da half nicht mehr Umbau sondern nur noch Abriss und Neubau.
Gottes erste Schöpfung ist am Ende und muss seiner neuen Schöpfung weichen.
Etwas Ungeheuerliches, wie die Diktatur des Nero oder Caligula muss enden und etwas ganz neues endlich von Gott gewolltes muss beginnen.
So dachte man auch vor 70 Jahren …
2. Geschichtlicher Rückblick auf die Zeit vor 70 Jahren mit Blick auf das Bild „Madonna mit Kind“ von Johannes Tefert (M.)
Vor 70 Jahren: Der Zeitenwechsel im April 1945 wird in einem knappen Brief der Stadtverwaltung Ratingen an den damaligen Leiter der Feuerwehr deutlich. „Ich gebe Ihnen hiermit den Auftrag, unverzüglich, also sofort, auf den beiden Kirchentürmen die weiße Fahne zu hissen.“ Das Datum des Briefes ist noch korrigiert von „17. auf den 16. April 1945“ Weißen Fahnen an unseren beiden Kirchtürmen. Zeitenwende! Die Chance auf Frieden.
Wenige Tage vorher war die Stadt noch in großen Teilen zerstört worden. Jetzt gab es einen Neuanfang ohne Diktatur und Terror und Kriegsangst.
Aber der Anfang war schwer:
– Die Toten mussten begraben werden.
– Häuser und Kirchen wurden wieder aufgebaut.
– Flüchtlinge in großer Zahl kamen hier in der Stadt an, suchten Schutz und Hilfe. Sie mussten integriert werden.
– Die Ehemänner, Väter und Söhne kamen aus dem Krieg zurück oder wurden aus der Gefangenschaft entlassen.
– Die Liste lässt sich noch fortsetzen. Alles war anders als vorher!
Es war Frieden. Aber es brauchte Tage, Wochen, Jahre, bis das Leben wieder halbwegs normal lief. Normalität war für manchen aus unserer Stadt aber auch nicht gegeben. Denn der Ehemann, der Vater, der Bruder kam nicht mehr wieder. Alles war anders als vorher.
In diesen Tagen fand der Ratinger Bildhauer Johannes Tefert (1908-1988) in den Trümmern der Pfarrkirche St. Peter und Paul einen zerborstenen, verkohlten Balken, uraltes Eichenholz aus dem Dachstuhl der Kirche. Er „sah“ in diesem Stück Holz – wertlos geworden – ein Bild (das heute vor uns steht): eine Madonna mit ihrem Kind. Es ist der Schutz dargestellt, den Mütter im Krieg ihren Kindern zu geben versuchten und auch in den Beschwernissen der Nachkriegszeit. Und das Kind nimmt den Schutz an, erwidert ihn mit dem Zeichen der Liebe und Dankbarkeit. Das war es, was der Künstler in der Zerstörung und Verwüstung sah: es geht weiter, auch wenn die Schatten bleiben. Da sind wir gefordert.
3. Aktualisierung: Vor dem Hintergrund des biblischen Textes (Sch.)
Aus den Trümmern von Peter und Paul entsteht Kunst, entsteht etwas Neues, ein Zeichen der Hoffnung und des Glaubens.
Aus Hass, Gewalt, Krieg und schrecklicher Zerstörung entsteht vor 70 Jahren die Uno als Zeichen des Willens zum Weltfrieden.
Großartige Zeichen, wichtige Projekte, die Europa – wie selten – friedliche Zeiten gebracht haben.
Trotzdem ist die Zahl der Kriege geblieben und die Brutalität der weltweiten Kriege nicht geringer geworden.
Die Flüchtlingsströme nach Europa sind ein Zeichen dafür.
Ein Zeichen auch dafür, dass der Verfasser der Apokalypse wohl recht hat mit dem Ausruf Gottes: Seht, ich mache alles neu.
Ja, Gott ist es, der den wirklichen Frieden schafft. Und wir Menschen können sicher etwas tun, vielleicht auch ziemlich viel, aber dürfen nicht verzweifeln, wenn es immer wieder Rückschritte gibt, denn die Vollkommenheit bleibt Gott vorbehalten: Seht, ich mache alles neu.
Amen.
Fürbitten (M):
Herr unser Gott, du hast die Menschen geschaffen, dass sie die Erde bevölkern und in Frieden auf ihr leben. Wir bitten dich:
– Schenke uns den Geist der Gerechtigkeit und Sinn für das Recht der anderen. Hilf uns, dass wir Ausgleich suchen, wo Zwietracht entsteht.
– Schenk uns den Geist der Liebe, dass uns das Schicksal der Mitmenschen nicht gleichgültig ist.
– Gib den Regierenden Gedanken des Friedens, damit sie nicht müde werden bei dem Versuch, Konflikte ohne Blutvergießen zu lösen.
– Gib, dass die Völker einander mehr und mehr verstehen, dass sie einander helfen und beistehe.
– Lass uns und alle Menschen erkennen, was dem Frieden dient, und gib uns die Kraft, es zu tun.
– Hilf uns, nicht nur an das eigene Glück zu denken. Lass uns nicht vergessen, die Freude mit anderen zu teilen.
Du bist ein Gott der Gerechtigkeit und des Friedens. Alle, die Frieden stiften, sind nahe bei dir.
Pfarrer Frank Schulte (Sch), Hans Müskens (M) / Juni 2015
Bild: Madonna mit Kind von Johannes Tefert (1908-1988)